Geschichte und Ansatz
Durch die Entwicklung der klinischen Psychologie und deren Einflüsse auf die Verhaltenstherapie kam es zu einer deutlichen Erweiterung des ursprünglichen Ansatzes. Am bekanntesten ist die sog. „kognitive Wende“ Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Seit damals wurden kognitive Theorien verstärkt in die verhaltenstherapeutische Behandlung aufgenommen. Inzwischen wird die ganze Spannbreite der experimentellen Psychologie genutzt. Es werden gleichermaßen wissenschaftlich und empirisch fundierte Konzepte (z.B. kognitive Theorien, Emotionstheorien, Kommunikationstheorien, Systemtheorien, Stressmodelle und Selbstregulationskonzepte) in das therapeutische Vorgehen aufgenommen und miteinander verknüpft. Durch die Einbeziehung sozialpsychologischer Konzepte konnte z.B. die Therapeut-Klient-Beziehung besser erforscht und gestaltet werden.
Heute beschreibt der Begriff „Verhaltenstherapie“ eine sehr breite psychotherapeutische Orientierung, die sich als Bestandteil der psychologischen, medizinischen, biologischen und soziologischen Forschung begreift und in dauernder Wechselwirkung mit ihr steht.
In der Erklärung menschlichen Verhaltens werden neben klassischen Konzepten des Lernens eine Reihe zusätzlicher Variablen als zentral angesehen, die außerhalb des Geltungsbereiches der Lerntheorien liegen.
Es wird von einem Systemmodell menschlichen Verhaltens ausgegangen, wobei die kognitive, physiologische, emotionale und die Verhaltensebene unterschieden wird. Zwischen diesen Ebenen kann es zu komplexen Wechselwirkungen, Rückkoppelungen und/oder Überlagerungen kommen. Der Verhaltensbegriff wird also entsprechend den Entwicklungen in der Psychologie recht weit gefasst und bezieht sich nicht mehr nur auf äußerlich beobachtetes Verhalten. Er schließt physiologische, emotional-subjektive, motivational-affektive, kognitive und verbal-kognitive Manifestationen ein. Verhalten gilt dabei als erworben und veränderbar.
Aus systemtheoretischer Sicht ist es wichtig, die Gesamtpersönlichkeit zu sehen. Der Mensch kann als komplexes System verstanden werden, bei dem Veränderungen in einem Teil Auswirkungen auf alle anderen Teile hat. Deshalb kann es für den Behandlungsprozess kontraproduktiv sein, einen Patienten zur Änderung eines isolierten Verhaltens überreden oder gar zwingen zu wollen. Der Erfolg wird nicht dauerhaft sein, wenn das neue Verhalten nicht zur Persönlichkeit passt.
Die verhaltenstherapeutischen Einsatzbereiche sind neben psychischen Störungen im engeren Sinn vor allem allgemeine Lebensprobleme, aber auch psychische Probleme und Begleiterscheinungen von somatischen Erkrankungen.
In ihrem Vorgehen ist sie problem- und zielorientiert und richtet ihre Interventionen auf die Veränderung der das Verhalten und die damit verbundenen Probleme steuernden Bedingungen. Unter Verhalten werden wie oben angeführt sowohl kognitiv-gedankliche (Wahrnehmen, Erkennen, Denken, Vorstellen), wie auch emotionale (Gefühle), physiologische (körperliche Reaktionen), zwischenmenschliche und motorische Prozesse (Handeln) verstanden, die einer direkten Beobachtung sowohl von außen wie auch von Seiten des Klienten prinzipiell zugänglich sind.
Kernelemente der Verhaltenstherapie sind die Problemanalyse, die Zielanalyse und der Einsatz spezifischer therapeutischer Methoden. Die Problemanalyse ist das diagnostische Verfahren der Verhaltenstherapie. Zusammen mit der Zielanalyse liefert sie Informationen zu den therapeutischen Ansatzpunkten und – zielen und erbringt für den Patient gleichzeitig auch Einsicht in die Ursachen, auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen seines für ihn (und die Umwelt) problematischen Verhaltens.
Der Mensch als aktives Subjekt
Der Mensch wird nicht als „Objekt“ von WissenschafterInnen und TherapeutInnen verstanden, sondern als flexibles und aktives Subjekt. Er lernt in einer Verhaltenstherapie seine spezifischen Probleme zu bewältigen, und erwirbt allgemeine Problemlöse- und Bewältigungsfertigkeiten, wodurch ihm die Möglichkeit eröffnet wird, Belastungen und Probleme in Zukunft aus eigenen Stücken besser bewältigen zu können. Das allgemeine Therapieziel der Verhaltenstherapie ist daher der Erwerb von Selbstkontroll- und Selbstregulationsfertigkeiten und damit eine größere Autonomie des Menschen. Die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit soll erhöht werden. Dazu gehört insbesondere der Auf- und Ausbau von Fähigkeiten und Fertigkeiten zwischen den Therapiesitzungen, z.B. durch Aufgaben und Übungen in der natürlichen Umgebung der Person. Das praktische Vorgehen läuft in verschiedenen Phasen ab und verlangt eine aktive Teilnahme der Personen sowie vor allem das Erproben und die Durchführung der erlernten Fähigkeiten in der realen Lebenssituation. Ein wichtiger Bestandteil ist die kognitive Therapie. Damit ist gemeint, dass viele menschliche Probleme von nicht zielführendem Denken herrühren und dass diese Gedanken (menschliche) Emotionen und menschliches Verhalten beeinflussen. Das Ziel der Kognitiven Therapie besteht darin die Denkmuster zu verändern, damit eine Veränderung des Verhaltens und der Emotionen erfolgen kann. Besondere Aufmerksamkeit wird der sozialen und materiellen Umwelt sowie dem gesamten Lebensumfeld im Hinblick auf die Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung psychischer Probleme gewidmet. Die Verhaltenstherapie weist in dieser Hinsicht Parallelen mit Ansätzen gemeindepsychologischer Forschung auf, Beispielsweise sind die Analyse von Beziehungen (Familie, Partnerschaft usw.) und die Beschäftigung mit der Rolle kritischer Lebensereignisse Ausdruck dieses Verständnisses von Umwelt.
Die Verhaltenstherapie hat seit ihrem Bestehen eine Reihe allgemeiner wie auch störungsspezifischer Methoden entwickelt, die dazu dienen, die Probleme und Belastungen derentwegen PatientInnen eine Therapie aufsuchten, zu bewältigen. Zu den „Standardmethoden der Verhaltenstherapie“ zählen u.a. kognitive Verfahren, Selbstkontrollverfahren, das Training sozialer Kompetenzen sowie Konfrontations- Entspannungs-, Verstärkungs- und Problemlösemethoden aber auch euthyme Methoden (z.B. Genusstherapie).
In ihrem Vorgehen ist die Verhaltenstherapie einem Kurztherapieansatz verpflichtet, der auf klaren Rollenvorgaben für TherapeutInnen und KlientInnen und einer positiven und kooperativen Arbeitsbeziehung zwischen beiden beruht. In der Verhaltenstherapie wird (auch) großer Wert auf die Erfassung der Effektivität der Therapie gelegt (z.B. durch Aufzeichnung und Bewertung von Veränderungen).
Für wen ist die Verhaltenstherapie geeignet?
Neben der Erwachsenentherapie im Einzelsetting kennt die Verhaltenstherapie spezifische Strategien und Methoden für Kinder und Jugendliche sowie für alte Menschen, ebenso wie sie Modelle für Paar-, Familien- und Gruppentherapie entwickelt hat.
Verhaltenstherapeuten arbeiten mit Einzelpersonen, mit Eltern, Kindern, Jugendlichen, Paaren, Familien und Gruppen.
Literatur:
Fliegel, Stichwort Verhaltenstherapie, Heyne Verlag
Paulus, J., Verhaltenstherapie – der kurze Weg zum Wohlbefinden, Campus, Frankfurt a.M., 1998.
Schorr, A.: Die Verhaltenstherapie. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Beltz-Verlag, Basel, 1984.